
Farnweh – Text von Nicole Häfliger – Grüntöne
Ich bin ein Wald- und Höhlenmensch. (Letzteres spielt für diesen Text keine Rolle, ist aber wahr und tönt so nett, dass ich es trotzdem anführen wollte.) Als Kind stellte ich mir vor, wie ich – wäre ich mal gross – im Wald mein künftiges Haus errichten würde, das Schlafzimmer sicherheitstechnisch oben in der Krone des grössten Baumes, ständig umweht vom Duft nach feuchtem Moos, Laubmoder und Harz.
Inzwischen bin ich gross, unser Haus steht in einem Dorf, duften tut es mal nach Gülle, Grasschnitt oder Blüten und der grösste Baum ist die ererbte Blaufichte, in der nicht ich niste, sondern Milane oder Elstern. Aber immerhin muss ich nicht weit gehen, um mich mitten in der schönsten Waldeinsamkeit zu befinden.
Aus eben dieser holte ich auch meine ersten zwangsadoptierten Farne. Mit Handschäufelchen und papierenem Migros-Sack. Die Wurmfarnkinder setzte ich in das feuchte Nordhänglein direkt beim Haus und erhoffte mir in Bälde einen verträumten Dschungel aus dem keck ein weissblütiger Rhododendron gucken sollte. Nun kann man es diesem Dryopteris filix-mas hoch anrechnen, dass er ein anspruchsloser, üppig wachsender und sehr treuer Geselle ist. Und das tat ich auch. Anfangs. Auch noch nach drei Jahren, als ein regelrechtes Farnmeer in diesem Hang wogte und es so hoch wurde, dass ich mit den Händen über die Wedelspitzen streifen konnte, sofern ich mich übers Terrassengeländer lehnte. Das machen normale Menschen nicht, darum blieb ich auch die Einzige, die das tat. Den anderen genügte der Anblick, um hingerissen zu sein.
Es ist ein eigen Ding mit Farnen. So sehr ich auch in meinen Erinnerungen wühle, ich könnte beim besten Willen niemanden nennen, der ungerührt an diesem wedelnden Meer vorbeigelaufen wäre. Nicht mal Leute, die mit Gärten und dem Schönfinden derselben so viel am Hut haben wie ich mit Hühneraugenpflastern. Woher diese Faszination wohl herrühren mag? Es ist ja nun nicht jeder ein so begeisterter Waldmensch. Liegt es an der Farbe Grün, die bei uns allen ein Wohlgefühl auslöst? An dieser instinktiven Reaktion, die tief in unseren Genen verankert ist und die uns versichert: wo es grünt, da ist auch Nahrung zu finden? Mag sein. Dem steht aber der Umstand entgegen, dass sich mein Grüntonmeer rein farbtechnisch nicht sehr von meinen Rasenflächen unterschied. Vor denen aber blieb bis heute noch nie jemand mit offenem Mund stehen. Seltsam. Es ist fast, als wüssten alle beim Anblick eines Farns, dass sie da vor etwas Urtümlichem stehen. Vor einem Urgestein, das seit Menschengedenken existiert. Um genauer zu sein sogar noch 397 Millionen Jahre länger. In etwa. Und so was hat, wie ich meine, durchaus einen offenen Mund verdient.
„Es ist ein eigen Ding mit Farnen. So sehr ich auch in meinen Erinnerungen wühle, ich könnte beim besten Willen niemanden nennen, der ungerührt an diesem wedelnden Meer vorbeigelaufen wäre.“
Wie dem auch sein mag, ich war entzückt. Bis mir eines Winters, als die Wurmfarne ihre Wedel dürr, hellbraun und grauslig entgegenstreckten, der junge Rhodo in die Augen stach, denn erst jetzt konnte man ihn halbwegs ausmachen. Ohne dass ich überschwänglich abschweifen wollte, seien ihm doch zwei, drei Sätze gegönnt. Er war ein ohnehin schon tief verstörtes Geschöpf, das mitten im Herbst zu blühen pflegte, um dann im Frühling um die Ecke zu gucken, den anderen blütenreichen Kumpel zu sehen und es ihm verstohlen gleichtun zu wollen – was aus nachvollziehbaren Gründen nur halbherzig klappen wollte. Doch nun, mit seinen neuen Nachbarn, pumperlgesund in jeder Hinsicht, fühlte er sich so auf die Zehen getreten, dass er komplett zu wachsen aufhören wollte. Einige wenige Jahre später verlor ich die Geduld endgültig und sägte ihn erdbodennah ab, aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht wissen. Es mussten also die Farne weichen, jedenfalls die mobbenden Bedränger im nächsten Umkreis. Und so machte ich mich ans ausstechende Werk.
Wurmfarne schätzen es nicht, von da, wo sie es sich breit und bequem gemacht haben, wieder vertrieben zu werden. Man sträubt sich mit aller Macht und einem Wurzelfilz, der endlos scheint. Und doch hätte es mich schlimmer treffen können. Nahe der Waldstelle, von der meine Wurmfarnkinder stammten, wächst in einer grossen Lichtung Pteridium aquilinum, der Adlerfarn. Dieser Geselle ist von solch erhabener Schönheit, dass ich ihn ganz sicher mit nach Hause genommen hätte, und damit den wedelgewordenen Fluch auf Rhizomen. Jedenfalls, wenn man ihn wieder loswerden möchte. Glücklicherweise aber sieht man oft nur das, was man zu wissen glaubt und meines Wissens bestand unsere einheimische Welt der Farne aus eigentlich nur einem. Welch Überraschung also, als mir beim Roden um den Rhodo plötzlich deutlich filigranere Wedel auffielen. Tatsächlich hatte sich beim damaligen Sammeln im Wald nebst den Dryopteris-Jungs unbemerkt ein «Weibchen» in den Papiersack geschlichen. Und so kam es, dass ich einem mir damals noch unbekannten Athyrium filix-femina meinen Farnerweckungsmoment zu verdanken habe.
Es ging weiter, wie es in aller Regel immer weitergeht. Man hat Freunde, die nichts Besseres im Sinn haben, als ihre sehnenden Süchte mit einem zu teilen und wird mit einem geschenkten Polystichum setiferum ‘Plumosum densum’ angefixt. Auf arg- und hinterlistigste Weise folgt der nächste Schritt. Den Geburtstag zum Vorwand nehmend stattet man einen mit Adiantum pedatum, Asplenium scolopendrium ‘Crispa’, Coniogramme japonica, Drypoteris affinis (borreri) und drei Woodwardia-radicans-Babys aus, flüstert wohlwollend: «Jetzt hast du ein anständiges Startpaket» und überlässt einen dann schnöd dem immer grösser werdenden Verlangen. Ist man ihm dann gänzlich erlegen, dem Farnweh, wird zum letzten Coup ausgeholt: «Du, Nick, könntest du auf dem Weg zu mir kurz bei dieser neuen Farngärtnerei in Härkingen vorbeischauen? Dort liegt eine Bestellung für mich bereit und es wäre super, wenn die nicht verschickt werden müsste. Vielleicht findest du ja auch was für dich, die haben da wahnsinnig tolle Sachen, sag ich dir.»
Danke, Maria und Michael, dass es euch gibt und ihr so charmant dabei helft, dass noch viele weitere ihm anheimfallen, dem beglückenden Weh nach dem Farn.



Über Nick
Autorin von Grüntöne. Sieben Laster und ein Schnegel.
„Wer ich bin? (…) Also. Morgens darf man mich nicht ansprechen, sonst reagiere ich aggressiv, ich bin nachtragend und mindestens so alt, wie ich aussehe, übertreibe es in geselliger Runde gerne mal mit dem Picheln und froste Schnecken.“

Grüntöne. Sieben Laster und ein Schnegel.
Literarisches aus Nicks Garten
Das steht ganz vorne auf dem Buch, von dem ich hoffe, dass es auch euch so viel Freude machen wird wie mir. 27 überarbeitete Grüntöne warten darauf, (wieder) entdeckt zu werden, doch anders als im Blog sind sie eingeteilt in sieben meiner Laster mitsamt einer kurzen Vorstellung jedes einzelnen sowie einen … na, eben Schnegel. Darüber hinaus bieten ein kurzweiliges Glossar und eine Liste aller mit botanischem Namen erwähnten Pflanzen erhellende Ach-so-Momente.
Mein Buch erscheint in Eveline Duddas Spriessbürger Verlag. Bereits dessen erfrischend anderes Gemüse-Handbuch wurde vom Grafiker und Fotografen Giorgio Hösli gestaltet, der nun auch aus den Grüntönen eine Augenweide zu zaubern wusste. Ja, es ist ein schönes Buch geworden mit seinen detailverliebten grafischen Elementen und augenzwinkernden grüngetönten Fotos, die bis auf eine Ausnahme allesamt in meinem Garten entstanden sind.
Anmerkung:
Der Farnwehhang, wie ich ihn seit dem Startpaket zu nennen pflege, ist unfotogen. Es könnte aber auch daran liegen, dass ich eine Unfotografin bin. Daher also auch die Fotoarmut dieser Seite. Das wird sich aber ändern. Versprochen. Noch dieses Jahr. Oder so.